Stadtteiltypen: Alex und Renate vom Heuchelhof
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Manuel Scholze
12. Dezember 2023

Mietshäuser im Heuchelhof. Wie auch hier steigen die Mietpreise überall in Würzburg und die Wohnungsnot nimmt zu. Foto: Johannes Kiefer
Die verschiedenen Würzburger Stadtteile haben ihren ganz eigenen Charakter. So prägen die Stadtteile sowohl ihre Bewohnerinnen und Bewohner, aber auch die Menschen in den Stadtteilen formen ihr Umfeld. So prägen die gut situierten Bürgerinnen und Bürger das Steinbachtal, Grombühl steht für die Uni-Klinik und sein urbanes Umfeld. Aus diesem Grund machen wir es uns zur Aufgabe, in unserer Serie „Stadtteiltypen“ typische Charaktere der Würzburger Viertel zu kreieren und zu beschreiben, was sie an ihrer Umgebung so mögen. Dieses Mal blicken wir auf den Stadtteil Heuchelhof, der sich eher außerhalb der Stadt befindet und einen ganz eigenen Mikrokosmos entwickelt hat.
Renate wohnt im Umfeld von Architekten, Lehrern und städtischen Beamten
Wenn Renate zum Edeka am Place de Caen einkaufen geht, dann hat sie mit ihrem Mann Peter eine Wette laufen. Fünf Euro wettet sie, dass einer der anderen Einkäufer eine Jogginghose mit dazu passendem Oberteil aus ein und derselben Kollektion trägt. Die Wette gewinnt sie meistens, die Trainingsoutfits leuchten ihr dann in pink, glänzenden-schwarz oder knallrot entgegen und Peter freut sich mit – das für ihn verlorene Geld fließt sowieso in frische Brezeln und Brötchen, die beim Bäcker im Supermarkt für den Sonntagsbrunch gekauft werden. Die beiden wohnen im Troja-Weg, etwa 600 Meter Luftlinie vom Place de Caen entfernt. Der Troja-Weg ist somit nicht in Griechenland, sondern eingebettet in den Athener Ring, dessen Wege allesamt an Gyros mit Tzaziki erinnern. Ihre Freunde wohnen im Spartaweg, die anderen auf der Olympiapromenade. Sie sind Architekten, Lehrer, Physiotherapeuten oder städtische Beamte, die sich in den 80er Jahren ihren Traum vom eigenen Häuschen abseits der Hochhäuser vom Heuchelhof erfüllt haben. Ein vorstädtisches und sauber parzelliertes Idyll, aufgeteilt in Ringen, die damals von der Stadt erschlossen wurden.

Die Ringe prägen die Einfamilienhaus-Siedlungen am Heuchelhof. Screenshot: Google Maps
Da gibt es aber auch den anderen Heuchelhof, den von Alex. Er wohnt in einem der bunten, aber mittlerweile von Sonne und Regen eher bleich gewaschenen Türme, die über der Stadt thronen und die man von der Autobahn aus sehen kann. Der Netzwerktechniker liebt es, hier in der Nachbarwohnung seiner Eltern untergekommen zu sein. Geld für ein Eigenheim war nie da, dafür fehlte in der Kindheit an nichts. Die Wohnung duftete nach Borschtsch und viele Traditionen aus der Heimat seiner Eltern und Großeltern wurden gepflegt, während Mama und Papa mit ihren Jobs in der Industrie mithalfen, das Wirtschaftswunder aufrechtzuerhalten. Alex fand seine Ausbildung auch direkt in Würzburg, mit der Straßenbahn pendelte er täglich zu einem mittelständischen Betrieb in Lengfeld. Fahrtzeit: 1 Stunde, 5 Minuten. Von Stadtteil zu Stadtteil. Das macht er noch heute, auch in Festanstellung. Zwei Tage im Homeoffice machen die Situation aber etwas stressfreier als damals in der Ausbildung.
Für Renate geht es im E-Auto etwas schneller zu ihrem Arbeitsplatz. Seit 23 Jahren pendelt sie in ihre physiotherapeutische Praxis in der äußeren Sanderau. Mittlerweile völlig CO₂-neutral, die vor drei Jahren auf das Dach geschnallte Photovoltaikanlage macht es möglich. Klar, Hauptsache ein bisschen was für den Klimaschutz tun, der verängstigt Renate. Das Kreuzchen auf dem Wahlzettel geht dann aber doch eher in Richtung konservative Parteien, das hat Tradition.
Keine Tradition hat die Wahlentscheidung von Alex. Wirklich beschäftigen will er sich gerade nicht mit den Parteien, unzufrieden mit der Politik ist er sowieso meistens – wenigstens das hat Tradition. Und so langsam muss er an seine Familie denken, also geht die Entscheidung wohl eher zu einer Partei, die pro Familie sind. Aber sind das nicht irgendwie alle? Eine kleine Tochter ist unterwegs und Alex richtet gerade das Kinderzimmer ein. Da rückt der Gedanke an Politik schnell in den Hintergrund, viel wichtiger ist der Obi, der praktischerweise fast nebenan liegt.

Um zum Heuchelhof zu kommen, müssen die Würzburger Straßenbahnen den Heuchelhofberg erklimmen. Foto: Silvia Gralla
Renate ist eher weniger im Obi einkaufen, viel mehr im Schwarzweller gegenüber, wenn wieder mal ein schönes Einrichtungsgeschenk gebraucht wird. Weihnachten, Geburtstage, Hochzeitstage – kommt gefühlt in wöchentlicher Schlagzahl. Sie liebt es, in ihrem ebenfalls liebevollen Umfeld alle mit kleinen Aufmerksamkeiten zu versorgen, schließlich ist die Welt eh schon schlimm genug. Da wird an einem Samstag dann lieber eingekuschelt und bei offenem Kaminfeuer Hund Milli gestreichelt und auf die Kinder gewartet, die zu Besuch kommen – so mag Renate ihre Wochenenden.
Alex immer (noch) auf Achse
Am Wochenende ist Alex eigentlich immer verabredet. Steil gehen in der Stadt – solange es noch geht. Das Kind braucht noch fünf Monate, bis es schreien wird und da Alex meist ohnehin unter der Woche Übernachtungsbesuch von seiner schwangeren Freundin hat, will er keinen Samstag ohne seine Kumpels auslassen. Meist geht er in die Kneipe, ins Wohnzimmer zum Beispiel – Cocktail-Happy-Hour – denn ein Clubgänger ist der ITler eher nicht. Geblieben wird in den Kneipen der Wahl dann trotzdem, bis die Schotten dicht machen. Bevor es losgeht, wird aber erst ein bisschen vorgeglüht. Also streift sich Alex sein heißgeliebtes Karl-Kani-Joggingoutfit über, mit dem er zwar nie auf die Arbeit gehen würde, für den Supermarkt ist das aber ultrabequem und sein präferiertes Wochenend-Outfit. So wundert er sich dann auch gar nicht, als ihn eine nett dreinblickende Babutschka anlächelt und von ihrem Mann im nahezu gleichen Moment mitten im Edeka-Markt einen Fünfer zugesteckt bekommt.

Der Place de Caen am Heuchelhof. Foto: Ulises Ruiz

