Recht: Kündigung bei Bagatelldelikten

Wuerzburgerleben

22. November 2017

In regelmäßigen Abständen muss sich die Rechtsprechung mit außerordentlichen Kündigungen wegen geringfügiger Eigentums- oder Vermögensdelikte von Arbeitnehmern befassen. Die getroffenen Entscheidungen sorgen regelmäßig für Entrüstung in der Bevölkerung. Achim Stehle, Rechtsanwalt bei der Kanzlei Bendel & Partner , erläutert für uns Fälle aus der Praxis und wann der Arbeitgeber zu einer Kündigung greifen darf:

„Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert“

Die Entrüstung bei außerordentlichen Kündigungen wegen geringfügiger Vermögensdelikte entsteht zum einen wegen zum Teil höchst unsachlicher Äußerungen durch führende Politiker. So sprach beispielsweise der ehemalige Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse im „Fall Emmely“ von einem „barbarischen Urteil von asozialer Qualität“. Die Dame, eine Kassiererin, hatte zwei Leergutbons im Wert von insgesamt 1,30 € eingelöst, obwohl sie ihr nicht gehörten. Zum anderen fehlt aber auch in der Presse oft jedes Verständnis, dass eine Kündigung auch möglich sein soll, wenn dem Arbeitgeber nur ein geringer bzw. gar kein Schaden entstanden ist.

Eine verhaltensbedingte Kündigung ist nur dann möglich, wenn ein „wichtiger Grund“ vorliegt. Dies prüft die Rechtsprechung in zwei Schritten: Das Verhalten des Arbeitnehmers muss generell geeignet sein, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen und es müssen die beiderseitigen Interessen im konkreten Einzelfall abgewogen werden.

Generelle Eignung zur Kündigung

Nach der Rechtsprechung des BAG kommen Vermögensdelikte unabhängig von der Schadenshöhe als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.

Dies entschied die Rechtsprechung beim unbezahlten Verzehr eines Stück Bienenstichkuchen (BAG vom 17.05.1984 – 2 AZR 3/83) sowie zweier Frikadellen (LAG Hamm vom 04.11.2010 – 8 Sa 711/10), bei einem Pfandbonmissbrauch i. H. v. 6,06 € (ArbG Berlin vom 27.09.2010 – 1 Ca 5421/10) bzw. i. H. v. 1,30 € (BAG vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09) oder bei der Schenkung dreier Schrauben des Arbeitgebers an einen früheren Kollegen (ArbG Bonn vom 21.10.2010 – 1 BV 74/40).

Denn insoweit prüft die Rechtsprechung nur generell – also ohne die Umstände des Einzelfalls und damit etwa die Schadenshöhe – ob das Verhalten des Arbeitnehmers eine Kündigung rechtfertigt. Bei dieser generellen Prüfung ist ein Vermögensdelikt zum Nachteil des Arbeitgebers aber eine so schwerwiegende Pflichtverletzung, dass die Vertrauensgrundlage für die Vertragsbeziehung erschüttert ist.

Ein Vermögensdelikt gegenüber dem Arbeitgeber rechtfertigt deshalb die Prognose, dass der Vertrag in Zukunft nicht mehr störungsfrei erfüllt werde. Entscheidend ist dabei der mit dem Vermögensdelikt verbundene Vertrauensbruch.

Abwägung der beiderseitigen Interessen im Einzelfall

Bei einem Vermögensdelikt entscheidet somit allein die Interessenabwägung, ob die fristlose Kündigung rechtmäßig ist. Insoweit ist das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung gegen das Interesse des Arbeitnehmers am Fortbestand des Anstellungsverhältnisses abzuwägen. Die Frage ist also: Kann dem Arbeitgeber im konkreten Einzelfall eine Weiterbeschäftigung zugemutet werden?

Dem Arbeitgeber muss somit auch unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls eine mildere Reaktion (Abmahnung, ordentliche Kündigung) unzumutbar sein.

Schadenshöhe nur ein Punkt von vielen

Dabei werden etwa die Dauer der Betriebszugehörigkeit sowie der bisherige (störungsfreie) Verlauf, der Verschuldensgrad des Arbeitnehmers, eine Wiederholungsgefahr und die Bedeutung der Vertragspflichtverletzung (wirtschaftliche Folgen, Ausmaß des Vertrauensverlustes) berücksichtigt. Eine Rolle spielt auch die Art der Tätigkeit des Arbeitnehmers. Bei einem Kassierer oder Bankangestellten wird eine absolute Zuverlässigkeit im Umgang mit dem anvertrauten Geld vorausgesetzt.

Die (geringe) Höhe des finanziellen Schadens beim Arbeitgeber ist damit nur ein Punkt von vielen, die im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu berücksichtigen sind.

Im Ergebnis…

…kommt es somit auf den Einzelfall an. Gerade bei einer besonders langen Betriebszugehörigkeit kann die Prognose gerechtfertigt sein, dass ein einmaliges Fehlverhalten den erarbeiteten Vertrauensvorrat nicht beseitigt. Aber auch hier kann keine genaue Grenze bestimmt werden, bei der man davon ausgehen kann, dass der Arbeitgeber „nochmal ein Auge zudrücken muss“.

Und die Moral von der Geschicht…

…den Arbeitgeber zu beklauen, das lohnt sich nicht.

Zwar wird bei geringfügigen Vermögensdelikten der Arbeitgeber seinem „besten Pferd im Stall“ wohl kaum kündigen, aber gegebenenfalls die Gelegenheit nutzen, einen unliebsamen Arbeitnehmer loszuwerden. Hierdurch wird jedoch das grundsätzliche Recht zur außerordentlichen Kündigung bei Bagatelldelikten weder „asozial“ noch „barbarisch“. Denn wer will schon, dass sich jemand Fremdes am eigenen Kühlschrank bedient?

Die Alternative wäre die häufig geforderte Einführung einer Wertschwelle von beispielsweise 20,00 €. Bis zu diesem Betrag dürfte der Arbeitnehmer den Arbeitgeber dann ungestraft beklauen. Dies würde aber nichts anderes bedeuten, als ein „Recht zur Straftat“ einzuführen. Und man stellt sich nur vor: Jeder Arbeitnehmer nimmt in einem Betrieb mit 100 Arbeitnehmern jeden Monat Gegenstände im Wert von 20,00 € mit – eine erhebliche Summe für den Arbeitgeber.

Über die Kanzlei “Bendel & Partner”

Bendel & Partner ist eine der führenden Kanzleien für Wirtschaftsrecht in Franken. Ein Team von mehr als 30 Rechtsanwälten und insgesamt ca. 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Büros in Würzburg, Schweinfurt, München und Aschaffenburg berät kleine, mittelständische und große Unternehmen sowie Privatpersonen bundesweit in allen Fragen des Wirtschaftsrechts, aber auch in vielen weiteren Teilbereichen der Rechtssprechung, u.a. dem Arbeits-, Familien- oder Immobilienrecht.  Schwestergesellschaft der Rechtsanwaltskanzlei ist die Bendel Insolvenzverwaltung AG. Fragen in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten? Achim Stehle erreichen Sie unter stehle@bendel-partner.de oder unter der +49 931-45202930.

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