Die „68er“ an der JMU
Wuerzburgerleben
24. Juli 2018

Große Demonstration gegen das Hochschulgesetz im Juni 1969. Quelle: Institut für Hochschulkunde
Vor genau 50 Jahre Jahren standen die „68er“ für Aufbruch und den Kampf der Jugend gegen das „verstaubte“ System. Doch was genau passierte damals an der JMU? Gab es Randale, Zerstörung und Demonstrationen? Das Uniarchiv klärt auf.
Rapide ansteigende Studierendenzahlen Anfang der 1960er Jahre forderten die Universitäten, welche weder personell noch strukturell darauf vorbereitet waren. Besonders links orientierte Studierende verlangten unter dem Schlachtruf „Unter den Talaren der Muff von tausend Jahren“ radikale Veränderungen des Hochschulwesens. Die Studierenden richteten ihre Anklage gegen alle antidemokratischen Tendenzen und verlangten Mitsprache- und Mitbestimmungsrecht. Anders als in anderen Städten verliefen die Proteste in Würzburg jedoch relativ ruhig, die Studierendenvertretungen setzten auf konstruktiven Dialog statt destruktiver Wutaktion.
Neue Verfassung als Auslöser der größten Proteste
In Erwartung einer drohenden bayerischen Hochschulverfassung arbeiteten ab 1966 verschiedene Instanzen der Universität an einer neuen, eigenen Universitätsverfassung, um oktroyierende Vorgaben von Seiten des Ministeriums zu umgehen. Diese Neuerungen lösten schlussendlich maßgeblich die größten Studentenunruhen in Würzburg aus, da mit einer neuen Satzung auch die Mitspracherechte zu klären waren. Nach dreimonatigen Vorarbeiten sprach sich der Verwaltungsausschuss, jedoch ohne studentische Beteiligung, am 22. Februar 1967 für eine Kanzlerverfassung aus. Erst im Juni 1967 entschloss man sich zur Einbindung eines studentischen Vertreters in den Verfassungsausschuss.

Studentendemonstration am 7. Juni 1967 anlässlich des Todes des Berliner Studenten Benno Ohnesorg vor der neuen Universität. Quelle: Institut für Hochschulkunde
Zwar hatte der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) im Nachgang der Ermordung Benno Ohnesorgs in Berlin auch in Würzburg von sich reden gemacht, doch die Mehrheit der Studierenden sah sich eher durch ein betont unpolitisches, demokratisches Mittelfeld repräsentiert, weshalb im Frühjahr 1968 mit der „Würzburger Studentenunion“ eine „Aktionsgemeinschaft politisch unabhängiger Studenten der demokratischen Mitte“ stärkste Fraktion im Studentenparlament werden und den AStA-Vorsitz übernehmen konnte. SDS und Sozialdemokratischer Hochschulbund (SHB) bekämpften den neuen Satzungsvorschlag entschieden und der AStA arbeitete eine eigene Alternative aus. Aus Protest gegen die vom Senat geplante Reform verließen AStA-Mitglieder nach Verlesung einer Erklärung des Studentenparlaments den Festakt zum Stiftungsfest am 11. Mai 1968, da man in der Veranstaltung eine „Manifestation des altüberlieferten Selbstverständnisses der Ordinarienuniversität“ sah.
Protestdemonstrationen und Hochschulstreik
Die linken Gruppierungen riefen zu einer Protestdemonstration und zum Hochschulstreik auf. Am Morgen des 11. Juli 1968, an welchem die Annahme des Satzungsentwurfes durch den Senat vorgesehen war, zog ein Demonstrationszug durch die Würzburger Innenstadt. Bereits in der Nacht zuvor hatten Studierende die Eingangstüren zur Universität am Sanderring verbarrikadiert, die Türschlösser zerstört und im Inneren Barrikaden errichtet. Am Nachmittag zogen etwa 700 Studierende nach einem sogenannten „Teach In“ in der Mensa mit Sprechchören wie „Haut den Professoren die Satzung um die Ohren“ und „Unsere Professoren, die letzten Diktatoren“ zur Neuen Universität und stürmte die dort tagende Senatssitzung, die daraufhin vertagt wurde.

Titelblatt des Semesterspiegels im Juni 1964. Quelle: Institut für Hochschulkunde
Der amtierende Rektor, Walther Habscheid rief die Polizei zu Hilfe, welche aber aufgrund ausbleibender körperlicher Gewaltanwendung nicht eingriff. Der Rektor schloss zur Gewaltprävention die Universität bis zum 14. Juli. In der Nacht zum 13. Juli beschädigte eine kleine Gruppe Studierender die Eingangstüren zur Neuen Universität mit Pflastersteinen, sowohl AStA, als auch nahezu alle anderen studentischen Gruppierungen distanzierten sich von den Vorkommnissen. Lediglich der Rädelsführer konnte gegriffen werden, verriet aber seine Kameraden nicht. Unter dem Schutz einer Hundertschaft der Bereitschaftspolizei und 40 städtischer Polizisten wurde am 16. Juli 1968 in der Alten Universität die Satzung beschlossen und trat trotz einer Protestaktion der Studierenden mit der Sammlung von 2000 Unterschriften am 1. Dezember 1968 in Kraft. An der Entscheidung waren weder Assistenten noch Studierende beteiligt.
Sommerfest statt Protest
Im Gegensatz zu manch anderer Universitätsstadt konnte Würzburg keine wirklich weitgreifenden Unruhen verzeichnen. Im Semesterspiegel, der offiziellen Studentenzeitschrift, beschreibt Ludwig Pitter 1967 und 1968 die reaktionären, verspießerten Studenten, die lieber Bücher statt Notstandsgesetze läsen. Ein Freund sei von Berlin nach Würzburg gekommen, um auch hier die Revolution in Gang zu bringen. Ob seines linken Gedankengutes habe man ihn ausgelacht, seine Zitate Mao Tse Tungs in Bier ertränkt und selbst die Polizei, die ihn in einem mit sozialistischen Parolen beschmierten VW-Bus anhielt, habe ihn lediglich auf zwei platte Reifen hinweisen wollen und gefragt, ob er Hilfe brauche. Mit der Feststellung „es ist ein Jammer in Würzburg“ flüchtete er zurück nach Berlin und raufte sich die Haare ob der Tatsache, dass sich die Würzburger ihre „liebgewonnene Ruhe“ nicht nehmen ließen.

Studentendemonstration am 7. Juni 1967 anlässlich des Todes des Berliner Studenten Benno Ohnesorg vor der neuen Universität. Quelle: Institut für Hochschulkunde
Rote Zeiten und Würzburgs Rudi Dutschke
Nachdem der Verband Deutscher Studentenschaften (VDS) im März 1968 offiziell erklärte, die Studentenunruhen zu unterstützen, verließ der Würzburger AStA den VDS, da dessen Haltung mit sachlicher Hochschulpolitik nicht mehr zu vereinbaren gewesen sei. Der Wiedereintritt folgte im März 1969. Der linksgerichtete neue AStA-Vorsitzende Thomas Neiss wurde in dem Münchener Boulevardblatt „Abendzeitung“ bereits reißerisch als „Würzburgs Dutschke“ gefeiert und Würzburg „Rote Zeiten“ beschieden. Gleichzeitig wurde Neiss jedoch mit den Worten zitiert, Würzburg würde „keinen heißen Sommer erleben“. Von auswärtigen Vertretern der 68-er Bewegung wurde das Klima in Würzburg als „katholisch-klerikal, muffig, spießig“ bezeichnet. Zur Wahl im Januar 1968 bestand der Würzburger SDS aus genau vier Personen, die sich mehr nach Berlin orientierten, als selbst tätig zu werden.
Kennedy und Bayerisches Hochschulgesetz als Reizthema
Auch der Funke, der nach der Ermordung Benno Ohnesorgs in viele Städten Deutschlands die Proteste entzündete, zeigte in Würzburg relativ wenig Wirkung. Lediglich an einem Schweigemarsch am 7. Juni 1967 nahmen ca. 500 Universitätsangehörige, darunter Studierende, Assistenten und Professoren, teil. Zu einer größeren Auseinandersetzung mit der Polizei kam es im Nachgang eines weiteren Schweigemarsches anlässlich des Mordes an Robert Kennedy am 6. Juni 1968. Die Beamten hatten sich ein Handgemenge mit fahnentragenden Studierenden geliefert und es war zu vorübergehenden Festnahmen gekommen. Tatsächlich weitgreifende Aktionen rief jedoch erst das neue Bayerische Hochschulgesetz hervor, welches in Würzburg höhere Wellen schlug, als die sogenannte 68er-Bewegung. Nach Inkrafttreten ließ das politische Interesse rasch nach und bis heute hält sich die Beteiligung der Studierenden an hochschulpolitischen Belangen in Grenzen.
Dieser Artikel beruht auf der verkürzten Version einer Pressemitteilung der Universität Würzburg.