Stadtteiltypen: Stefan und Stefanie aus Grombühl
Michelle Engelbrecht
28. November 2023

Der Stadtteil Grombühl. Foto: Pascal Höfig.
Alle Würzburger Stadtteile haben einen einzigartigen Charakter. Die Bewohnerinnen und Bewohner prägen maßgeblich ihren Stadtteil und umgekehrt. Da wäre beispielsweise Heidingsfeld mit seiner stolzen Geschichte als ehemalige Stadt oder das Frauenland mit seinen vielen Einfamilienhäusern samt Vorgärten. Aus diesem Grund machen wir es uns zur Aufgabe, in unserer Serie „Stadtteiltypen“ typische Charaktere der Würzburger Viertel zu kreieren und zu beschreiben, was sie an ihrer Umgebung so mögen.
Grombühl oder Crimebühl?
Weiter geht’s mit dem berühmt-berüchtigten Stadtteil Grombühl – von vielen auch liebevoll Crimebühl genannt. Grombühl ist ein Teil von Würzburg im Nordosten der Stadt. Der Name kommt von „Krahnbühl“, was so viel bedeutet wie „Krähenhügel“.
Hier wohnen der entspannte Stefan, 28, und die dezent gestresste Stefanie, 23. Auch wenn die Namen fast identisch sind, könnten die beiden unterschiedlicher nicht sein – ganz nach dem Motto: Same but different. Doch wieso zieht es vollkommen gegensätzliche Persönlichkeiten in denselben Stadtteil?
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Stefan brauchte ein günstiges Zimmer in Würzburg
Stefan oder einfach Stef, wie er genannt werden möchte – denn weniger ist mehr – führt ein entspanntes Leben in einer WG in der Nähe der Grombühler Weinberge. Er stammt aus einem wohlsituierten Elternhaus in Veitshöchheim. Seine Eltern mussten stets hart arbeiten, um ihrem Bübchen, Einzelkind, diesen Wohlstand zu ermöglichen – er sollte es schließlich mal besser haben als sie. Von seinem Philosophie-Studium an der Würzburger Uni waren die Eltern zuerst nicht begeistert, aber immerhin hat er es durchgezogen. Nach seinem Abschluss war er erst mal planlos, hat sein Leben hinterfragt. Also ist Stefan erst mal ein Jahr ins Ausland, um sich selbst zu finden. Von Ecuador bis nach Chile hat er Südamerika bereist und festgestellt: Zum Glücklichsein bedarf es nicht viel. Glück ist nicht an materielle Dinge gebunden. Zurück in Würzburg, jung und broke, entschied er sich bewusst für Abstand zu den Eltern. Nach langer Wohnungssuche in allen Stadtteilen und vielen Enttäuschungen angesichts der absurd hohen Mieten, fand er ein erschwingliches WG-Zimmer in Grombühl nahe der B27, was ihm trotzdem eine schnelle Anbindung zu seinen Eltern ermöglichte.
Stefanie suchte die Nähe zur Uni-Klinik
Die ehrgeizige Steffi aus dem flachen Norden Deutschlands musste sich nie selbst finden, denn sie wusste seit Kindheitstagen, was sie werden möchte: Ärztin. Schon im Kindergarten war sie mit ihrem kleinen Arztkoffer unterwegs und untersuchte mit ihrem Plastik-Stethoskop die Herztöne ihrer Freunde. Leben retten und Gutes tun – das ist ihre Bestimmung. In der Schule war sie deshalb sehr strebsam, um den hohen NC fürs anschließende Medizinstudium zu schaffen. Auch wenn sie deshalb nicht allzu viele Freunde während ihrer Schulzeit hatte und statt als Partylöwin eher als Büfflerin bekannt war – das war es wert. Als sie mit ihrem 1,2er-Abi die Wahl zwischen einem Studium in Düsseldorf oder Würzburg hatte, fiel ihr die Wahl nicht schwer. Die beschauliche Atmosphäre von Würzburg, besonders im Vergleich zu ihrer Heimat – der Metropole Hamburg, schien der perfekte Ort für ihr Medizinstudium zu sein. Da sie auch Praktika in der Klinik absolvieren muss, entschied sie sich bewusst für eine kleine 1-Zimmer-Wohnung – Ablenkung durch Mitbewohner konnte sie schließlich nicht gebrauchen – in der Nähe der Uni-Klinik, im Stadtteil Grombühl.

Der Uni Kiosk in Grombühl. Foto: Jacob Grimm.
Carpe diem im Uni Kiosk
Obwohl Stef ehrlicherweise eher wegen der günstigen Miete als wegen des guten Rufs nach Grombühl gezogen ist, wurde er von Anfang an positiv überrascht. Der Charme des Stadtviertels zeigt sich dem 28-Jährigen bereits, wenn er über die Grombühlbrücke schlendert und einen romantischen Blick auf die Bahngleise erhascht. Innerhalb kurzer Zeit ist er direkt am Hauptbahnhof, beziehungsweise schon in der Innenstadt Würzburgs. Grombühl selbst hat einen recht dörflichen Charakter. Mittlerweile kennt Stef die üblichen Verdächtigen und hat alles, was er braucht, im direkten Umfeld: den EDEKA um die Ecke, seinen Lieblingsbäcker Brandstetter mit den weltbesten Krapfen, die Metzgerei Dees für ein schnelles LKW zwischendurch, die Pizzeria seines Vertrauens mit dem wohlklingenden Namen “Salvatore”, oder auch die BRAUCHBAR, mit deren Hilfe er seine halbe Wohnung einrichten konnte.
Stefans Highlight ist aber vor allem der Uni Kiosk direkt an der Straba-Haltestelle am Wagnerplatz mit seinem Logo in Regenbogenfarben. Nicht nur das Logo ist bunt – auch die Auswahl. Neben einem üppigen Sortiment aus Drogerieartikeln und Lebensmitteln, allem voran leckeren Antipasti und Pizzabrötchen, punktet der Späti mit einem integrierten Waschsalon – der Retter in der Not, als Stefs Waschmaschine neulich den Geist aufgegeben hatte. Mit Öffnungszeiten bis 22 Uhr bringt der Späti Großstadt-Vibes in das sonst eher beschauliche Viertel. Hier ist der 28-Jährige auch auf eine Stelle aufmerksam geworden, bei der er halbtags arbeitet, denn mehr Einkommen braucht er nicht zum Leben. Kaffee kochen, Regale einsortieren und mit den Stammkunden jeden Alters quatschen – es gibt schlechtere Jobs. Den Rest des Tages verbringt Stef mit seiner WG, in der sonst nur Studenten leben, mal mit einem Bierchen in den Weinbergen um die Ecke oder bei einer Runde Tischtennis auf dem Wagnerplatz. Einmal die Woche ist er außerdem beim Basketballtraining als stolzes Mitglied des TSV Grombühl.
Die zukünftige Ärztin Stefanie: powered by coffee
Weniger entspannt sieht Steffis Alltag aus. Aktuell macht sie Praktikum in der Kardiologie im Uni-Klinikum. Der Arbeitsalltag beginnt für sie ab sieben Uhr, auf dem Weg zur Arbeit springt sie noch schnell für ein Hörnchen und Kaffee in einen der vielen Bäcker – Webers, Brandstetter oder Müller – und dann ab zur Klinik. Abends nach getaner Arbeit legt sich Steffi allerdings nicht auf die Couch und suchtet Netflix, sondern setzt sich nochmal an den Schreibtisch mit Blick auf die Josefskirche in Grombühl, denn nach dem Praktikum steht bald das Physikum an. Häufig haben dann EDEKA und Norma allerdings schon zu. Die viel zu frühe Ladenschlusszeit um 20 Uhr ist sie von Hamburg nicht gewohnt. Zum Glück gibt es den Uni Kiosk für Koffein-Nachschub oder auch ein bisschen Nervennahrung, die liegen nämlich kurz vor den Klausuren blank. Hier ist sie auch zum ersten Mal Stefan begegnet, ein komischer Kauz, wie Steffi anfangs fand. Der wollte sie gleich mal in ein Gespräch verwickeln und hat scheinbar zu viel von dem, was sie zu wenig hat: Zeit. Alles scheint ihr über den Kopf zu wachsen: Klinik, Vorlesungen, Fachvorträge, nebenbei den Haushalt schmeißen und dann auch noch genügend schlafen – wieso hat der Tag nur 24 Stunden?! Von ihren Mitstudenten hat Steffi auch schon mitbekommen, dass sie aufgrund des Leistungsdrucks Ritalin konsumieren, um effektiver lernen zu können, aber Stefanie bleibt vorerst bei der legalen Volksdroge Koffein.
Lebensverändernde Weisheiten im Grombühler Späti
Als der Tag mal wieder lang war und Steffi wusste, die Nacht würde kurz werden, stiefelte sie nochmal in ihren geliebten Späti. Stef kannte Stefanie bereits von ihren häufigen Besuchen und auch ihm ist neben ihren dunklen Augenringen ihr hoher Kaffeekonsum aufgefallen. Also sprach er sie darauf an. Aufgrund seines Philosophiestudiums gibt es bei Stefan nämlich neben einer Tasse Kaffee stets auch eine Portion Lebensweisheiten oder zumindest ein passendes Zitat kostenlos on top. Es sprudelte nur so aus Stefanie heraus. Sie erzählte von ihrem Workload und dass sie noch rein gar nichts von der neuen Stadt gesehen hätte – außer natürlich den riesigen Uniklinik-Komplex. Stefan kannte den Leistungsdruck von seinen Eltern und konnte sie überzeugen, dass ihre Aufopferungsbereitschaft zwar bewundernswert ist, aber sie sich nicht selbst vergessen darf. Denn wer sich nicht gut um sich selbst kümmert, kann sich irgendwann um niemanden mehr kümmern. Damit war das Eis gebrochen – der komische Kauz schien ja eigentlich ganz sympathisch zu sein.
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Blick auf Würzburg hoch oben in den Grombühler Weinbergen. Foto: Michelle Engelbrecht.
Den perfekten Lernort gefunden
Steffi nahm sich dank seiner Worte auch mal Pausen und entdeckte die Vorzüge des Grombühler Lebensstils. Sie begleitete Stefan und seine Kumpels auf ihren Ausflügen in die Würzburger Weinberge. Während die anderen ihr Bierchen zischten, trank Steffi genüsslich ein Glas Wein – schließlich ist der fränkische Bocksbeutel für sie unschlagbar. Und Frankenwein sei Medizin, was die Medizinerin vom einheimischen Philosophen gelernt hat. Aber nicht nur in geselliger Runde findet man Steffi mittlerweile am Bismarckturm im Bismarckwäldchen oberhalb der Weinberge. Sie hat hier ihren perfekten Lernort gefunden: Es herrscht himmlische Ruhe und dazu gibt es einen Ausblick auf ganz Würzburg, der selbst komplizierte Biochemie irgendwie leichter erscheinen lässt. Auch das authentische Grombühler Weinfest am Wagnerplatz Ende August lernte sie durch Stefan kennen: Coole Leute, edle Tropfen und fetzige Musik. Die Gemeinschaft, von der Steffi langsam Teil wurde und die sie vorher so kaum kannte, fing ihr an zu gefallen. Und auch Steffi hat einen positiven Einfluss auf Stef: Ihr Idealismus und Tatendrang animierten Stefan dazu, ein Ehrenamt bei der Nachbarschaftshilfe in Grombühl aufzunehmen.
Grombühls bunte Gemeinschaft
So leben in Grombühl auf dem ersten Blick die unterschiedlichsten Menschen nah beieinander: Junge Familien, Studenten bis hin zu alteingesessenen Würzburgern. Sie alle haben unterschiedliche Geschichten und Ziele, aber alle eins gemeinsam – sie wissen den Grombühler Charme und dessen Eigenheiten beziehungsweise manchmal eigenwillige Bewohner zu schätzen.