Stadtteiltypen: Uwe und Lea aus dem Frauenland

Philipp Heilgenthal

20. Dezember 2023

Die Kirche Unsere Liebe Frau von Kirschblüten versteckt. Frauenland-Bewohner schätzen vor allem das viele Grün in ihrem Stadtteil. Foto: Philipp Heilgenthal
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Die Kirche Unsere Liebe Frau von Kirschblüten versteckt. Frauenland-Bewohner schätzen vor allem das viele Grün in ihrem Stadtteil. Foto: Philipp Heilgenthal

Die verschiedenen Würzburger Stadtteile haben ihren ganz eigenen Charakter. So prägen die Stadtteile sowohl ihre Bewohnerinnen und Bewohner, aber auch die Menschen in den Stadtteilen formen ihr Umfeld. So prägen die gut situierten Bürgerinnen und Bürger das Steinbachtal, während in der Sanderau viele Studentinnen und lässige Rentner zuhause sind und ihrer Hood Charme verleihen. Aus diesem Grund machen wir es uns zur Aufgabe, in unserer Serie „Stadtteiltypen“ typische Charaktere der einzelnen Würzburger Viertel zu kreieren und zu beschreiben, was sie an ihrer Umgebung so mögen. Dabei handelt es sich natürlich nicht um reale, sondern um fiktive, überspitzte Persönlichkeiten.

In diesem Teil geht es in den Osten Würzburgs. Im Frauenland fühlen sich zwei unterschiedliche Bevölkerungs- und Altersgruppen pudelwohl – nur dass sie sich gegenseitig spinnefeind sind und insgeheim einen kalten Kulturkampf zu führen scheinen.

Uwe blickt selbstzufrieden von seiner Terrasse auf die Festung – und auf sein Leben zurück

Uwe blickt selbstzufrieden auf seinen bisherigen Lebensweg zurück, als er mit einem Schoppen in der Hand die letzten Sonnenstrahlen auf seiner Terrasse einfängt. Er hat sein großes Lebensziel erreicht: Ein eigenes Haus in bester Wohnlage. Und zwar an den ruhigen Hängen im Frauenland. Vorstadtidylle mitten in Würzburg! Das I-Tüpfelchen daran: Der Festungsblick. Denn was den Bewohnerinnen und -bewohnern an der Cote d‘Azur der Meerblick ist, das ist den Würzburgerinnen und Würzburgern der Festungsblick. Dafür haben Uwe und seine Frau so einiges auf sich genommen – allem voran einen fetten Kredit, der nun nach über 25 Jahren immer noch nicht abbezahlt ist. Dafür ist ihre Immobilie inzwischen doppelt so viel Wert wie damals als sie sie erwarben. Davon lässt sich später einmal – wenn nötig – ein Seniorenheim der Spitzenklasse bezahlen. Doch solange er und seine Frau noch allein zurechtkommen – und das wird bei den ende-50-Jährigen hoffentlich noch viele Jahre lang der Fall sein – genießen sie ihr ruhiges Leben im Frauenland in vollen Zügen. Und von nichts und niemandem will sich Uwe in diesem kleinen Paradies stören lassen.

Die anderen bisherigen Stadtteiltypen:

Flo und Gisela aus der Sanderau verstehen sich trotz ihres hohen Altersunterschied prima

Tina und Werner aus der Zellerau eint die Liebe zum besten Freund des Menschen

Die gestresste Stefanie und der gechillte Stefan aus Grombühl konnten viel voneinander lernen

Selina und Christoph aus Heidingsfeld kennen sich gar nicht – wieso auch?

Alex und Renate schätzen ihren Mikrokosmos am Heuchelhof auf ihre jeweils eigene Art

Wie hier in der Sterenstraße ist das Frauenland für viele Bewohner ein echtes Vorstadtidyll mitten in Würzburg. Foto: Philipp Heilgenthal

Lea genießt es, zur Uni zu laufen und dem Vogelgezwitscher zu lauschen

Auch Lea ist überglücklich mit ihrer Wohnlage. Nach langem Suchen hat sie pünktlich zum Semesterstart ein schönes WG-Zimmer gefunden. Und das auch noch in Uni-Nähe und zu einem bezahlbaren Preis! Seit etwa acht Monaten wohnt die Rheinländerin nun hier und fühlt sich im Frauenland eigentlich pudelwohl. Die meisten Vorlesungen der Lehramtsstudentin sind am Philosophischen Institut am Galgenberg, mehrere Seminare sind am Wittelsbacherplatz im Herz des einwohnerstärksten Stadtteils Würzburgs. Und sie wohnt genau dazwischen, mit dem Fahrrad jeweils nicht mal fünf Minuten entfernt. Das ist unglaublich wichtig für die Studentin, die viel Zeit auf dem Campus verbringt.

Denn abseits der Kurse ist die engagierte junge Frau bereits Teil der Fachschaft Anglistik. Außerdem freut sich Lea bereits darauf, ihr frisch angelegtes Gartenbeet im Campusgarten regelmäßig zu pflegen und schon bald die ersten Früchte ihrer liebevollen Arbeit zu ernten. Am liebsten läuft Lea jedoch zur Uni und lauscht dem Vogelgezwitscher auf den Schleichwegen zwischen den Kleingärten. Die Studentin ist entzückt darüber, dass ihr neues Zuhause trotz zentraler Lage in allen Richtungen von viel Grün umgeben ist. Um feiern zu gehen, braucht sie meistens gar nicht in die Innenstadt zu fahren. Weil am liebsten geht die neue Wahlwürzburgerin zum Feiern auf Wohnheimpartys, wo eine unvergleichliche Stimmung herrscht und man immer nette, friedvolle Gleichgesinnte trifft. Ähnlich wie die Hörsäle sind fast alle Studentenwohnheime von ihrer WG aus fußläufig problemlos erreichbar. Eigentlich alles perfekt hier, wenn da nur nicht diese unliebsame Nachbarschaft wäre.

Im Universitätsgebäude am Wittelsbacherplatz im Herzen des Frauenlands gehen täglich hunderte von Studenten ein und aus. Foto: Thomas Obermeier

Die Straba-Linie 6 droht, Uwes Autofahrerparadies aufzuwühlen und zu zerschneiden

Uwe hasst Veränderungen und Menschen, die ständig nach Veränderung schreien und auf Krawall gebürstet sind – sei es auf Bundesebene oder in der eigenen Straße. Eine große Veränderung droht in naher Zukunft tatsächlich sein Paradies im wahrsten Sinne des Wortes aufzuwühlen: Diese unsägliche geplante Straßenbahnlinie 6. Jahrelang protestierte er zusammen mit anderen anständigen Bürgerinnen und Bürgern gegen diesen Wahnsinn, der nun seinen geliebten Stadtteil förmlich zu zerschneiden droht. Vergeblich. So viele Steuergelder werden für dieses unnötige Großprojekt verschwendet!

Viel mehr als nur die Frauenland Wohnungsgenossenschaft: Die große Übersicht aller Würzburger Wohnungsgenossenschaften

Uwe nutzt nie öffentliche Verkehrsmittel, denn er ist nur ungern unter Fremden. Deshalb genießt er auch sein Leben in seinem eigenen Haus mit eigenem Garten dahinter, der mit einer 2,5 Meter hohen Hecke von den neugierigen Blicken Fremder geschützt ist. Eine Straßenbahn würde dabei nur stören und seinen VW Tiguan ständig die Vorfahrt nehmen. Ein eigenes Gartenbeet haben er und seine Frau nicht angelegt. Nur ein schattenspendender Kirschbaum liefert die selbstangebaute Lebensmittel. Und selbst die lassen sie meist links liegen. Denn Uwe braucht seinen „Garten“, der eigentlich nur aus einer Wiese besteht, samt Terrasse vor allem zur Erholung vom stressigen Job in der Versicherungsagentur. Dort hat er sich vor zwölf Jahren eine Führungsposition hart ekämpft. Wenn der gelernte Versicherungskaufmann dann am Abend nach einem anstrengenden Arbeitstag nach Hause kommt, sich einen guten Tropfen Randersackerer Ewig Leben einschenkt, die Füße auf dem Gartenstuhl hochlegt und zusieht, wie hinter der Festung langsam die Sonne untergeht, dann ist Uwe wieder völlig ausgeglichen und die Welt ist für ihn in Ordnung.

Lea ist froh, den Pendlerwahnsinn zum Hubland nicht mitmachen zu müssen

Für Lea entzieht es sich jeglicher Logik, warum immer noch so ein derart großer weißer Fleck im dürftigen Liniennetz der Würzburger Straßenbahnen besteht. Dass ein Stadtteil mit fast 20.000 Einwohnerinnen und Einwohnern keinen Straßenbahnanschluss hat. Dass den umweltschädlichen Autos in einem zentralen Stadtteil einer Großstadt so viel Raum geboten wird, währenddessen sich täglich Tausende von Studentinnen und Studenten in die wenigen Busse Richtung Wittel und Hubland quetschen müssen. Umso froher ist Lea darum, diesen Pendlerwahnsinn nicht mitmachen zu müssen, auch wenn ihr die Sardinen in den Bussbüchsen leidtun. Eigentlich wäre das Frauenland der ideale Stadtteil für Studentinnen und Studenten. Wenn nur das Umfeld hier nicht so verblüffend studentenunfreundlich wäre, obwohl sich die größten Institute und Hochschulgebäude allesamt im, beziehungsweise an der Grenze zum Frauenland befinden. Eine weitere Sache, die sie an Würzburg bis heute nicht versteht und die ihr bisher niemand plausibel erklären konnte.

Im Frauenland gibt es viel Platz für Autos und wenig Platz für Öffis – „Gut so“, findet Uwe, „Warum nur?“, fragt sich Lea. Foto: Philipp Heilgenthal

Das Studentenpack in der Nachbarschaft ist Uwe ein Dorn im Auge

Was Uwes biedermeierliche heile Welt im Frauenland am meisten stört, ist dieses undankbare Studentenpack. Wie Beulen eines Pestopfers, breitet es sich immer weiter in dieser Vorzeigesiedlung aus und scheint sie in ein zweites Sodom verwandeln zu wollen. Wieso nur lassen immer mehr Vermieterinnen und Vermieter aus diesem Viertel diese halbstarken Störenfriede in ihre Wohnungen, wo sie bei dieser attraktiven Wohnlage doch auch anständige Mieterinnen und Mieter finden würden? Unglücklicherweise befindet sich ausgerechnet neben Uwes trautem Eigenheim ein Mietshaus, in der sich seit mehreren Jahren auch ein paar Studenten-WGs befinden. Deren Bewohnerinnen und Bewohner denken wohl, sie könnten die Nachbarschaft terrorisieren mit ihren Partys und dergleichen. „Die nehmen doch alle Drogen!“, ist sich der gebürtige Würzburger sicher. Es würde ihn nicht wundern, wenn sie sich demnächst, wie diese Klimaterroristen, auf ihre Straße kleben würden, damit er nicht auf die Arbeit fahren kann. Aber nicht mit Uwe! Erst letzte Woche musste er wieder einmal nachts die Polizei rufen, als doch so eine freche Bande von Studentinnen ernsthaft dachte, sie könnten nebenan ein Saufgelage veranstalten und dabei Krach machen, sodass sie der hart arbeitenden Nachbarschaft ihren wohl verdienten Schlaf rauben. Und das auch noch unter der Woche! „Einfach intolerant“, findet Uwe. Da sieht mal wieder, wie faul und arbeitsscheu die meisten jungen Leute heutzutage sind. Gott sei Dank ist noch auf die Polizei verlass, die dem unsäglichen Treiben sofort den Garaus machte.

Wie im falschen Film – Für Lea sind die Wohnheime im Frauenland wie Inseln der Glückseligkeit

Inzwischen versteht Lea sehr gut, warum trotz aller offensichtlichen Vorteile gar nicht einmal so viele Studentinnen und Studenten im Frauenland wohnen wollen. Diese spaßbefreite, argwöhnische, spießige Nachbarschaft geht ihr inzwischen gehörig auf den Geist. „Die sind doch alle nur neidisch auf uns, weil sie selbst keinen Spaß haben!“, ist sich Lea sicher. Da hat doch letzte Woche tatsächlich jemand die Polizei gerufen, als Lea drei Freundinnen zu einem Filmeabend zu sich nach Hause eingeladen hat. Klar wurde dabei das ein oder andere Gläschen Wein getrunken und gelacht. So what? „Einfach intollerant“, findet Lea. Die Rheinländerin dachte zunächst, im falschen Film zu sein, als sie um 22:30 Uhr die Tür öffnete und zwei Polizeibeamten ihr eine Verwarnung wegen ihres Filmeabends aussprachen. Denn in ihrer Heimat in NWR würden solche Spießer von der Polizei am Hörer ausgelacht werden, wenn sie sich kurz nach 10 über den ‚Lärm‘ von vier kichernden Mädels beschweren würden. Aber hier blieben die berühmt-berüchtigten bayerischen Polizisten stockernst.

Das Studentenwohnheim „Haus Berlin“ ist äußerst begehrt bei Studenten. Für viele von ihnen ist es eines der „Inseln der Glückseligkeit“ im Frauenland. Foto: Philipp Heilgenthal

Wie gerne würde Lea in diesem Stadtteil in einem Wohnheim wohnen. Von Franzi aus ihrer Heimat hat sie schon so viel Gutes über das Haus Berlin gehört. Dort wohnt ihre Bekannte seit fast zwei Jahren. Auch mit dem PWS oder dem Leo oder am Galgenberg oder sogar ganz oben am Hubland wäre sie mehr als zufrieden. Wie Inseln der Glückseligkeit ragen sie aus dem Spießersumpf, namens Frauenland heraus. Dort erhofft sich Lea harmonisches Zusammenleben mit interessanten Gleichgesinnten. Ein echtes Gemeinschaftsgefühl. Sie würde sich im Wohnheim auch sofort als Tutorin engagieren, um alle möglichen Veranstaltungen zu organisieren und sich auch auf sonstige Art und Weise für ein besseres Zusammenleben stark machen. Doch die Warteliste ist leider lange.

Campuskenner Filip Simonovski über das Besondere an Wohnheimpartys am Hubland und die legendäre Mensaparty an ihrem Ursprungsort

Die kämpferische Lea ist nicht bereit, das Frauenland den Spießern zu überlassen

Und eigentlich entspricht es auch nicht Leas kämpferischer Natur, einfach so aufzugeben und lautlos das Feld zu räumen. Nein, sie darf nicht das Frauenland den Spießerinnen und Spießern überlassen. Daher nimmt sich die Aktivistin vor, zusammen mit anderen Mitstreiterinnen und -streitern in Zukunft immer wieder darauf aufmerksam zu machen, dass reaktionäre Studentinnen und Studenten in diesem Stadtteil sehr wohl eine Daseinsberechtigung haben und schon lange hier deutlich mehr sind, als manch ein spießiger Nachbar denkt. Als erstes plant sie, mit ihren Mitbewohnern ein riesiges Banner mit der Aufschrift „Strabas willkommen – für ein umweltfreundliches, verkehrssicheres Frauenland“ zu kreieren und aus ihrer WG zu hängen. Und sobald die ersten Bauarbeiter vor ihrer Haustüre tatsächlich Straßenbahngleise verlegen werden, bekommen sie von ihr eine Brotzeit mit selbstgemachtem Gemüseaufstrich aus eigenem Anbau. Aber bis dahin freut sie sich schon auf das verblüffte Gesicht dieses miesepetrigen Boomers von nebenan, wenn er zum ersten Mal ihr neues Banner liest.

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