Von der Idee bis zum Rausschmiss – die Historie des Chambinzky
Wuerzburgerleben
22. Dezember 2023

Das Theater Chambinzky mit dem ikonischen roten Teppich. Foto: Thomas Obermeier
Nach genau 40 Jahren muss das Chambinzky aus der Valentin-Becker-Straße ausziehen – eine traurige Nachricht für alle Freundinnen und Freunde des Theaters. Was nun geschehen wird, ist noch ungewiss. Um den Standort gebürtig zu verabschieden, blicken wir auf die Geschichte des Etablissements zurück.
Eine parisische Idee
Bereits Ende der 70er Jahre entsteht nach einem Besuch in Paris die Idee eines eigenen Boulevardtheaters. Rainer Binz, der spätere Gründer des „Chambinzky“, ist berauscht vom pulsierenden Leben der Stadt, der damals neu eröffneten Discothek „Le Palace“ und den zahlreichen Pariser Varietées und „Café-Theatern“ am Montparnasse.
Nach einem Theaterpraktikum in München erfüllt Binz sich 1981 den Traum vom eigenen „Café-Theater“ und das „Café Theater Augustin“ in Würzburg war geboren. Neben Getränken werden in der Kneipe Kleinkunst, Kabarett, Lesungen und Musik geboten. Doch schon bald wird ihm die rund 20 Quadratmeter große Bühne im Gastraum zu klein und der Wunsch nach einer größeren Fläche wächst.
Eröffnung des Chambinzky
Im Frühjahr 1983 findet Rainer Binz neue Räumlichkeiten in der ehemaligen Tanzschule Marchart in der Valentin-Becker-Straße. Der Ort, der das neue Theater 40 Jahre lang beheimaten wird. Doch nicht nur die Idee entsteht in einer Großstadt, auch der einprägsame Name wird in einer Hamburger Cocktailbar kreiert. Nicht unberauscht werden „théâtre de chambre“ (deutsch: Kammer- oder Zimmertheater), der Name des Ideengebers „Binz“ und „ky“ (für „und Co.“) zum heutigen Namen „Chambinzky“ vermischt. Der Gründung der „Chambinzky Theater & Gastro GmbH“ durch Rainer Binz und Steffen Röschert steht nichts mehr im Weg.
Am 27. September 1983 ist es dann endlich so weit: das Theater öffnet zum ersten Mal seine Türen. Zur Feier des Tages wird ein weinroter Empfangsteppich vom Hochparterre hinunter bis auf die Straße ausgebreitet. Ein Teil des Teppichs vor dem Eingang erinnert noch heute an diesen aufregenden Tag. Auf dem Premiere-Spielplan steht das Gastspiel „Geliebter Lügner“ vom amerikanischen Autor und Schauspieler Jerome Kilty.
Programm zieht Jung und Alt an
Obwohl es sich bei dem Gebäude des Chambinzky nicht länger um eine Tanzschule handelt, wird auch in den kommenden Jahren viel getanzt, während auf der Bühne bekannte Namen der deutschen Kabarett-Szene auftreten. Zu den Gästen auf der Bühne des großen Saals mit 130 Plätzen zählen unter anderem Volker Pispers, Urban Priol und Ingo Appelt. Somit wird das Theater noch vor dem Sommerhausener Bockshorn zur ersten Kabarettbühne in Würzburg. Doch auch andere Programmpunkte, wie der alljährliche Tuntenball, werden schnell zu Besuchermagneten. Und das zieht die Leute bald an: Die Mischung aus dem unfränkische Namen, das großstädtische Programm und die Riesenauswahl an Getränken in der HausBar begeistert Würzburgerinnen und Würzburger.

Um die 300 Gäste feiern am 22.02.20 in schrillen Kostümen den sogenannten Tuntenball im Chambinzky in Würzburg. Foto: Daniel Peter
Die ersten Förderungen
Insgesamt 50.000 D-Mark stecken Rainer Binz und Steffen Röschert in das Etablissement. „Jetzt spinnt er völlig“, wird damals noch über Ideengeber Binz gesagt. In der Stadt ist es anfangs schwer vorstellbar, dass eine Kleinkunstbühne auf Dauer Gäste anzieht und so gibt es zunächst weder städtische noch staatliche Förderungen. Ähnlich läuft es in der gesamten Kulturszene ab. Doch die Gründer lassen nicht locker und fordern Fördergelder ein. 1986 haben sie erstmals Erfolg. „Die Kleinkunstbühne und Tanzschule“ Chambinzky, wie auf dem ersten Briefkopf des Theaters steht, erhält einen Zuschuss von 4.000 D-Mark. Heute wird das Theater von der Stadt Würzburg, dem Bezirk Unterfranken und dem Freistaat Bayern regelmäßig gefördert.
Der erste große Erfolg
Neben Gastspielen auswärtiger Bühnen hat das Theater auch vereinzelte Eigenproduktionen im Programm. Den Anfang macht „Die menschliche Stimme“ von Jean Cocteau 1983. Seinen Durchbruch hat das Theater jedoch 1987 mit „Der Kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry.
Nachdem Binz 1980 im Münchner Künstlerhaus zum ersten Mal als Zweitbesetzung die Rolle des „Pfeiffer mit drei f“ spielen durfte, ist es ihm ein Traum „Die Feuerzangenbowle“ einmal selbst auf die Beine zu stellen. So kommt es, dass 1988 der Filmklassiker zum ersten Mal im Chambinzky aufgeführt wird und sich bis heute als das meistgespielte Stück des Theaters durchsetzt. Fast 300 Vorstellungen mit rund 90 wechselnden Darstellern in ganz Deutschland stellt das Chambinzky in 40 Jahren auf die Beine.
Mit den Jahren stehen immer mehr Eigenproduktionen im Programm des Chambinzky, doch die Feuerzangenbowle ist und bleibt das Aushängeschild des Theaters. Gemeinsam mit dem ersten Erfolg des Stücks „Der Kleine Prinz“ etabliert sich das Chambinzky als die größte Privatbühne der Stadt, die selbst eher konservatives Stadttheater-Publikum anlockt. Trotz des großen Erfolgs steigt 1990 Mitgründer Steffen Röschert aus und übergibt die alleinige Leitung an Rainer Binz.

Die Feuerzangenbowle (2013) ist seit 1988 der Renner im Chambinzky. Foto: Thomas Obermeier
Neue Wirte in der HausBar
Zum Jahrtausendwechsel steigt Wirt und Mitinhaber Franz Gerhold ebenfalls aus. Die Gaststätte mit etwa 120 Tischplätzen übernehmen daraufhin das Wirtepaar Anna Weigel und Zeph Sienknecht bis 2015. Letzterer hatte Ende der 90er bei Gerhold in der Gaststätte angefangen. Bereits ein Jahr nach ihrem Antritt als neue Wirte bauen die beiden die Bar um und verhelfen ihr zum Ruf als zentralen Treffpunkt des Theaters. Vor allem Studierende zählen bald zu ihren Stammkunden.
2007 übernehmen die beiden zudem die Küche und bedienen ab dann auch größere Veranstaltungen mit bis zu 140 Gästen. Angeboten werden grundsätzlich fränkische und mediterrane Gerichte nach Rezepten der Inhaber. Am theaterfreien Dienstag laden Sienknecht und Weigel zu eigenen Veranstaltungen und Konzerten mit der Musikhochschule ein. Höhepunkt ist die Comedy Lounge, die 2015 mit Andy Sauerwein als Moderator ins Bürgerbräu-Gelände zu Markus Grein zieht.
Zweite und kleinere Bühne im Keller des Gebäudes
Mit der Zeit werden immer mehr Eigenproduktionen vom Publikum gefordert. 2010 wird dem mit der Eröffnung des KuZu-Kellertheaters mit 70 Sitzplätzen nachgegangen. Die zweite, kleinere Bühne ermöglicht es dem Chambinzky, statt rund sechs jährlichen Eigenproduktionen gleich zwölf bis vierzehn eigene Stücke aufzuführen.
Die Wirte des Chambinzky sagen Ade
2015 verabschieden sich die Wirte nach 15 Jahren von der Gaststätte. Aufgrund der Verschärfung der Promillegrenzen, der Wegnahme von Parkplätzen durch die Stadt, des Nichtrauchergesetzes und des Herauswachsens des früheren studentischen Stammpublikums rentiere sich der hohe Arbeitsaufwand für das Paar nicht länger, heißt es auf der Webseite. Um das Lokal weiter am Laufen zu halten, übernehmen die Schauspieler des Trägervereins nun selbst die Bewirtung des Lokals.
Freie Theater schließen sich zusammen
2010 plant das Mainfrankentheater gemeinsam mit der Studierendenvertretung ein Semesterticket, mit dem Studierende kostenlos Vorstellungen im kommunalen Theater besuchen können. Als Reaktion schließen sich das Chambinzky mit den freien Bühnen Würzburgs zur „Interessensgemeinschaft Freie Theater Würzburg“ zusammen. Mitglieder sind zudem das Theater Spielberg, die TheaterWerkstatt, das Theater am Neunerplatz, das Theater Bockshorn, die Theaterhalle am Dom, das Plastische Theater Hobbit, das Theater Ensemble sowie das Theater Augenblick. Ihre Kritik: „Eine einseitige Förderung der städtischen Bühne in dieser Form werde Publikum aus den privat betriebenen Bühnen, die ohnehin nicht selten am Existenzminimum arbeiten, abziehen.“ Das Semesterticket Mainfranken Theater wird trotz Bemühungen der IG 2018 offiziell eingeführt.

Theater Chambinzky feiert 40. Geburtstag: Der Gründer Rainer Binz (rechts) und der heutige Geschäftsführer Csaba Béke (links) im Lokal. Foto: Daniel Peter
Neuer Leiter des Theaters
Nach 35 Jahren gibt Rainer Binz die Leitung des Theaters an Csaba Béke. Im 2018 gegründeten Ältestenrat steht er Béke bis heute weiter beratend zur Seite.
Der neue geschäftsführende Vorsitz des gemeinnützigen Vereins zur Förderung darstellender und bildender Kunst e.V., Theater Chambinzky, ist zuvor kein Unbekannter. Csaba Béke arbeitet fast 20 Jahre lang im Theaterbetrieb und lernt dort seine Frau kennen. Sein Ziel ist es, das Chambinzky erneut zu einer der beliebtesten Studentenkneipen zu machen. Dafür wird unter anderem der Kultur-Klub eingeführt. Zudem kooperiert das Chambinzky unter Béke gemeinsam mit der „Interessensgemeinschaft Freie Theater Würzburg“ und dem Studentenwerk Würzburg in Form des Kulturtickets. Als Reaktion auf das Semesterticket, welches freien Eintritt in das Mainfranken Theater verspricht, können Studierende ab 2018 vergünstigte Tickets für den Besuch der freien Theater Würzburgs erwerben. Die Preise sinken für sie von sieben auf zwei Euro pro Eintritt.
Der KulturKlub wird ins Leben gerufen
Mit Beginn der Spielzeit 2017-18 bietet ein neuer Raum für Kunst, Kreativität und Vielfalt Platz für Nachwuchstalente: der KulturKlub. Eingeführt wird dieser in erster Linie für die Nachwuchsförderung und das Talentscouting im Chambinzky.
Der „Singer Songwriter Contest“, das wohl bekannteste Format des Klubs, findet zeitgleich mit der Gründung des KulturKlubs ebenfalls das erste Mal 2017 statt. Musikerinnen und Musikern aus der Region wird die Chance geboten, sich mit selbstkomponierten Werken zu präsentieren. Nach zwei Vorrunden und dem Finale werden die drei Gewinnerinnen und Gewinnern mit Preisen gekürt. Zuletzt wurde der Contest 2023 veranstaltet.
Das Chambinzky während der Pandemie
Während der Coronakrise 2020 wird weltweit der Betrieb des öffentlichen Lebens lahm gelegt. So muss aus Gründen der gesundheitlichen Sicherheit auch das Chambinzky am 16. März 2020 seine Türen schließen.
Zu Beginn setzt Béke noch auf Spenden und sammelt bis Mitte Juni 2020 via Crowdfunding 4.618 Euro für das Chambinzky ein. Doch noch im selben Jahr machen die elf Angestellten des Theaters aus der Not eine Tugend und organisieren mehr als 40 Open-Air-Konzerte und Lesungen, die mit den damals aktuellen Regelungen konform sind. Zu den Locations gehören vor allem Alten- und Pflegeheime, bei denen die Patienten, Bewohner und das Personal vom eigenen Zimmer aus teilnehmen können. Béke schildert der Main-Post die Emotionalität der Situation in einem Interview: „Du stehst teilweise alleine in einem Innenhof, die Fenster sind auf, und dann kommt quasi aus dem Nichts ein Riesenapplaus. Das sind Momente, die ich nie vergessen werde.“
Zudem ist es dem Personal ein Anliegen, die tatkräftigen Pflegekräfte und Mitarbeitenden von Teststationen durch selbstgenähte Stoffmasken, dem Bauen von Trennwänden für Klinik-Räume und dem Versorgen mit Tee oder Schokolade zu unterstützen. Trotz der Härte der Pandemie kann das Chambinzky bald die Besucherzahlen der Vorjahre dank erfolgreichem Konzept ergänzt mit Livemusik steigern. Veranstaltungen, wie etwa der „Benefizrave“ im Mai 2022, werden beinahe überrannt.
Der Traum vom Amphitheater
Anstatt nach der drohenden Insolvenz während der Pandemie 2022 einen Sparkurs einzuleiten, setzt Leiter Csaba Béke auf Expansion. Auf dem Gelände des Biergartens am Glashaus in Randersacker soll ein Freiluft-Amphitheater mit 400 Plätzen entstehen. Der Bund bewilligt 165.000 Euro Förderung, doch das insgesamt 326.000 Euro teure Projekt kommt 2023 vorläufig nicht zustande. Der Besitzer des Geländes verkauft dieses anderweitig. Béke gibt jedoch den Traum vom „KulturWäldchen“ nicht auf und sieht sich nach anderen Grundstücken um.

Das Chambinzky in der Valentin-Becker-Straße. Foto: Thomas Obermeier
Das Chambinzky muss raus aus der Valentin-Becker-Straße
2023 kommt der große Schock: Das Theater Chambinzky muss nach 40 Jahren zum Jahreswechsel aus den Räumlichkeiten in der Valentin-Becker-Straße ausziehen. Pläne für die nächsten Jahrzehnte des Vereins werden so zunichte gemacht. Als Grund für die Kündigung des Mietvertrags durch die Akademisch-Musikalische Verbindung (AMV) wird in einer Pressemitteilung die Unvereinbarkeiten der Konzepte der beiden angegeben. Es habe sich kein wirtschaftlicher sowie nutzungstechnischer Kompromiss gefunden. Was genau in den Räumlichkeiten entstehen wird ist noch unklar. Doch das Chambinzky lässt sich nicht unterkriegen, geht monatelange Verhandlungen ein und schafft es, das Theater wenigstens bis zum Herbst 2024 wie gewohnt betreiben zu dürfen.
Zukunft im Bockshorn?
Zur gleichen Zeit geben die Betreiber des Bockshorns bekannt, dass sie die Kabarettbühne zum Jahresende aus Altersgründen aufgeben. Schon im Sommer bewirbt sich das Chambinzky als potenzieller Nachmieter der Räumlichkeiten, welche jedoch kleiner als die bisherigen ausfallen. Dies führt allerdings zu Unmut in der Kulturszene. Mathias Repiscus und Monika Wagner-Repiscus, die das Bockshorn bis Jahresende betreiben, machen deutlich, dass sie sich einen anderen Nachfolger für die Bühne wünschen. In der Hoffnung, diesen Wunsch durchzusetzen, ruft die Bergtheimerin Kerstin Stark eine Petition ins Leben, die fordert, das Bockshorn weiter als reine Kabarettbühne zu halten. Unter den Unterzeichnern sind auch namhafte Künstlerinnen und Künstler, wie Michl Müller oder René Sydow.
Doch bisher bleibt das Chambinzky auf Platz 1 der Bewerber. Kulturreferent Achim Könneke meint, dass neben einem überzeugenden Konzept auch ein kulturpolitischer Aspekt bedacht werden müsse. Die Stadt müsse schauen, wie das Chambinzky gerettet werden könne. Ob dies als Nachmieter des Bockshorns erfolgt, ist jedoch noch unklar.
Wohin mit dem Chambinzky?
Die aktuelle Berichterstattung zum Umzug des Chambinzky kann auf der Internetseite der Main-Post verfolgt werden.