Alternative Wohnprojekte in Würzburg
Philipp Heilgenthal
28. März 2025

Der Wagenplatz des Wagenkollekiv Würzburg e.V. ist das wohl die alternativste Wohnform in Würzburg. Foto: Philipp Heilgenthal
Beim Thema Wohnen gibt es eigentlich nur hop oder top: Entweder, man wohnt im Eigenheim oder zur Miete. Üblicherweise lebt man zusammen mit der Familie, zu zweit als Paar, alleine oder – vor allem in der Studentenstadt Würzburg – in einer Wohngemeinschaft (WG). Neben diesen klassischen Wohnformen gibt es immer öfter alternative Formen des Wohnens und Zusammenlebens. Wir stellen drei spannende alternative Wohnprojekte in Würzburg vor.
Immer mehr alternative Wohnprojekte in Stadt und Land
Vor allem in Großstädten entstehen zunehmend alternative Wohnprojekte als Kontrast zum klassischen Einfamilienhaus oder der Mietskaserne. Meist schließen sich dabei progressive, freiheitsliebende Menschen unterschiedlichen Alters zusammen, um innovative Konzepte des Zusammenlebens und der Raumnutzung entwickeln und umsetzen. Der Volksmund würde sie üblicherweise als „Hippies“ und „Ökos“ bezeichnen. Was sie grob alle eint, ist der Wunsch, innerhalb ihres Wohnprojekts Gemeinschaft, Nachhaltigkeit und soziale Integration in den Mittelpunkt zu stellen und gemeinsam in Freiheit zu leben.
Beispiele für alternative gemeinschaftliche Wohnprojekte gibt es bereits zahlreiche, viele sind derzeit erst im Entstehen. Da wäre beispielsweise die Alternative Wohngenossenschaft Connewitz zu nennen, deren Ziel die „Verwirklichung selbstbestimmter Lebensformen, alternativer Kultur und Initiativen“ im als sehr links-alternativ geltenden Leipziger Stadtteil Connewitz ist. Die Schweizer Stadt Zürich hat eine große Tradition an Wohnungsgenossenschaften. Besonders spannend ist dabei die Genossenschaft Kalkbreite, die eine selbstbestimmte Gemeinwirtschaft ermöglichen möchte und allen 230 Bewohnerinnen und Bewohnern und 25 Gewerbetreibenden demokratische Mitbestimmung bietet. Auch auf dem Land gibt es mehrere interessante Aussteigerprojekte und alternative Wohnmodelle. Das Öko.See.Dorf bei Ravensburg möchte zum Beispiel mehrere Dörfer schaffen, die sich durch einen hohen Anteil an Gemeinschaftsräumen, generationenübergreifendem Miteinander, ökologischer Selbstversorgung und einer Kultur des gemeinschaftlichen Lebens und der Selbstbestimmung auszeichnen. Ein erstes Hausprojekt existiert seit 2021, weitere sind bereits in Planung.
Wagenkollektiv Würzburg e.V.: Wagenplatz am Heidingsfelder Mainufer

Der Wagenplatz als alternative mobile Siedlung des Wagenkollektivs Würzburg ist sogar auf Google Maps klar erkennbar. Screenshot: www.maps.google.com
Wer denkt, dass es solche alternative Wohnprojekte nicht in der beschaulichen Bischofsstadt Würzburg geben kann, der irrt sich. So gibt es in Heidingsfeld bereits seit 2009 eine besondere Form des alternativen Wohnens: Direkt am Main in der Seilerstraße in Nachbarschaft zum DLRG-Stützpunkt hat der Wagenkollektiv Würzburg e.V. einen Wagenplatz eingerichtet. Hier leben unterschiedliche Menschen in Wohnwägen, alten, kleinen Lastwägen und anderen mobilen Gefährten ganzjährig zusammen an einem festen Platz – ohne Miete zahlen zu müssen. Viele der Wägen sind dank Balkonkraftwerke inzwischen Energieautark, andere kommen auch ohne Strom aus.
Alternativer, nichtkomerzeller Wohn- und Kulturraum
Die Bewohnerinnen und Bewohner sind zumeist Aussteiger, Künstlerinnen oder einfach freiheitsliebende Menschen. Der Wagenplatz bietet nicht nur Wohnraum, sondern auch Raum und Begegnungsstätte alternativer Kultur. So finden hier über das Jahr verteilt zahlreiche unkommerzielle Kulturveranstaltungen statt. Außerdem gelten die Wagenbewohnerinnen und -bewohner als eingeschworene Gemeinschaft, die sich gegenseitig in allen Belangen unterstützt und bewusst das Miteinander sucht. Davon zeugt unter anderem das Umsonstregal auf dem Wagenplatz mit Büchern und anderen Gegenständen zum freien Austausch. Wie die anderen offenen Bücherschränke und Tauschboxen in Würzburg dürfen auch Außenstehende das Regal frei nutzen. Nur ein gravierendes Problem hat der Standort: Bei Hochwasser muss der Wagenplatz sofort geräumt werden, da er dann sehr schnell unter Wasser steht.
Dencklerblock in der Zellerau: Leben wie in einem Berliner Kiez

Im legendären Denckler-Block ist die alternative Szene der Zellerau zu Hause. Ein Stück Berliner Kiez mitten in Würzburg. Foto: Thomas Obermeier
Auf den ersten Blick scheint der Dencklerblock in der Zellerau aus klassischen Mietskasernen zu bestehen. Doch wer einmal in einem der beiden Wohnblöcke aus den 1920er-Jahren zwischen Frankfurter Straße und Jägerstraße steht, fühlt sich plötzlich, wie ins Herz des Hamburger Schanzenviertels oder zwischen besetzten Häusern in einem Berliner Kiez versetzt. Der Denckler ist bei der links-alternativen Würzburger Szene äußerst beliebt und geschätzt. Hier kennt man sich, die etwa 800 Bewohnerinnen und Bewohner haben sich in ihren Blocks einen eigenen Kosmos geschaffen. Viele von ihnen sind alternative Studentinnen, Künstler und (Über-)lebenskünstlerinnen, die bei weitem nicht nur die günstige Miete schätzen. Täglich kommen in den Innenhöfen Bewohnerinnen, Bewohner und Bekannte von außerhalb bei einem Lagerfeuer, zum Tischtennisspielen oder zum Singen und Musizieren zusammen. Lärmempfindlich und ordnungsfanatisch sollte man nicht gerade sein, wenn man im Denckler leben möchte.
Stadtteiltypen: Studentin Tina aus der Zellerau liebt und lebt den Denckler-Spirit
Genossenschaftliches Mehrgenerationenwohnen Würzburg e.V.

Der MGWW-Vorstand, (v. l.) Dr. Ronald Jäger, Susanne Porzelt, Julius Popp und Maria Lenhard-Raab (es fehlt Lukas Weidinger) auf ihrem künftigen Grundstück in der Emily-Gordon-Straße am Hubland. Foto: Heiko Becker
Im Jahr 2016 schlossen sich mehrere Familien – später auch ältere Menschen und Alleinstehende – zum Verein Mehrgenerationenwohnen Würzburg e.V., kurz MGWW. zusammen, um ein gemeinsames Projekt des Mehrgenerationenwohnens zu verwirklichen. Die große Gemeinschaft aus bisher etwa 65 Erwachsenen und 40 Kindern ist nicht nur hinsichtlich ihres Alters vielfältig, sondern auch in Puncto politischer Anschauung, Ernährungsweise, Religion und Spiritualität, sowie Liebe und Sexualität. Diese Vielfalt wird bei MGWW besonders wertgeschätzt.
Co-Working-Raum, Spielplatz und Gästeunterkunft
Um einen gemeinsamen Wohnraum zu schaffen und dadurch zu einer echten Gemeinschaft zusammenzuwachsen, bemüht sich der Verein seit seiner Gründung um ein großes Baugrundstück. 2019 fanden deren Mitglieder schließlich am Hubland im Quartier IV, Kürnacher Berg in der Emily-Gordon-Straße ein geeignetes Grundstück. Dafür gründete die Gemeinschaft 2021 die MGWW Wohnhungsgenossenschaft eG. Auf diesem Grundstück sind in naher Zukunft 45 unterschiedliche Wohneinheiten und eine Reihe von gemeinschaftlich genutzten Gebäuden und Freiflächen wie ein eigener Spielplatz vorgesehen. Unter anderem sollen hier ein Co-Working-Raum und eine Gästeunterkunft geschaffen werden.
Echtes, hohes Mitspracherecht für alle Genossinnen und Genossen
Der Mehrgenerationengenossenschaft ist es besonders wichtig, den wahren genossenschaftlichen Gedanken zu verwirklichen und damit allen Mitgliedern ein echtes, hohes Mitspracherecht zu ermöglichen. Die Genossenschaft möchte ausdrücklich frei von einer Dachträgerschaft oder einer übergeordneten Eigentümergemeinschaft sein. Das erfordert jedoch ein sehr hohes Maß an Eigenkapitalbeteiligung am Neubauprojekt: 33 Prozent. Der Rest wird (zunächst) über einen Kredit und über soziale Wohnraumsförderungen finanziert. Noch wohnen die Genossinnen und Genossen unterschiedlichen Alters nicht zusammen am Hubland. Die Planungen für das Wohnkonzept wurden 2024 abgeschlossen und 2025 plant das MGWW, den Bauantrag einzureichen.
Weitere Informationen zum Mehrgenerationenwohnen Würzburg auf mainpost.de (MP+)
Wohnen am Gewächshaus – solidarisches, nachhaltiges, alternatives Wohnprojekt

Noch stehen alte, verfallene Gewächshäuser oberhalb der Seilerstraße in Heidingsfeld. Bis 2027 soll hier ein vierstöckiges Doppelgebäude der Genossenschaft „Wohnen am Gewächshaus“ entstehen. Foto: Philipp Heilgenthal
Ein ähnliches Konzept einer ‚vollkommenen‘ Wohnungsgenossenschaft wie die MGWW, in der die Kräfte und Interessen gebündelt werden, verfolgt das Projekt „Wohnen am Gewächshaus“. 2020 tat sich die Gemeinschaft von 0 bis 74-jährigen Mitgliedern zusammen, um einen gemeinschaftlichen Wohnraum in Würzburg zu schaffen. Dafür erwarb die Genossenschaft ein großes Grundstück zwischen Seilerstraße und Winterhäuser Straße im Stadtteil Heidingsfeld. Dort befand sich in der Vergangenheit die Gärtnerei Elmar Müller, woher auch der Name des Wohnprojekts stammt. Einen ganz hohen Wert legt „Wohnen am Gewächshaus“ auf Solidarität und nachhaltiges Wohnen. Für letzteres schafft das Grundstück mit seinen großzügigen, reichhaltigen Grünflächen ideale Bedingungen. Darüber hinaus sollen unter anderem PV-Anlagen, eine Wärmepumpe und ressourcenschonende Baumaterialien für ein besonders nachhaltiges Wohnen sorgen. Der Solidaritätsgedanke rührt von der Idee, auch für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen einen Platz in der Gemeinschaft schaffen zu können. Dafür stellt die Genossenschaft verschiedene Anträge auf Fördermittel für den Wohnungsbau. Die meisten der 19 Wohnungen auf vier Stockwerken werden barrierefrei eingerichtet, Einzelwohnungen werden rollstuhlgereicht ausgestattet sein, um für jeden eine Wohnmöglichkeit am Gewächshaus zu schaffen. Wie die MGWW hegen die Mitglieder den Wunsch eines Lebensraums mit einer Balance zwischen lebendigem Miteinander und individuellen Rückzugsmöglichkeiten.
1.000 Quadratmeter großer Gemeinschaftsgarten direkt am Main
Als Zentrum der neuen Wohnanlage soll ein großer Gemeinschaftsraum entstehen. „Dieser soll der Treffpunkt für unsere Gemeinschaft sein und für zahlreiche Aktivitäten genutzt werden – sei es zum Kochen, Feiern oder Arbeiten. Hier soll Platz für alle Lebensbereiche sein und eine Atmosphäre des Miteinanders entstehen“, ist auf der Webseite von „Wohnen am Gewächshaus“ zu lesen. Außerdem arbeitet die Gemeinschaft bereits an einem gemeinsamen Natur-, Freizeit- und Nutzgarten. Dafür hat das alternative Wohnprojekt bereits ein 1.000 Quadratmeter großes Grundstück am Main unweit des Baugrunds erworben. Doch nicht nur der Garten wird künftig geteilt. Unzählige Gegenstände, die ein einzelner Haushalt selten beziehungsweise nicht täglich benötigt, möchte sich die Gemeinschaft teilen, um Geld und Ressourcen zu sparen. Dazu gehört etwa Dinge wie ein Akkubohrer, ein Rasenbohrer, ein Fondueset, Waschmaschinen, aber auch Autos und ein Lastenrad – und natürlich auch Gartenwerkzeug.
Einzug 2027 geplant – weitere Mitglieder gesucht
Wer Teil der Gemeinschaft werden und künftig am Gewächshaus leben möchte, muss – ähnlich wie bei „Mehrgenerationenwohnen Würzburg“ zunächst eine hohe Summe an Eigenanteilen erwerben, um den Neubau mitzufinanzieren. Dafür sichern sich die Genossinnen und Genossen damit ein dauerhaftes Wohnrecht und profitieren „von langfristig fairen Mieten und einer starken Gemeinschaft“, heißt es auf der Webseite der Genossenschaft. Im Sommer 2025 möchte die Genossenschaft den Bauantrag stellen, 2027 planen die Mitglieder am Gewächshaus ihren Einzug. Übrigens sucht die Gemeinschaft derzeit (Stand März 2025) noch mehrere weitere Mitglieder.