Würzburger Straßenmaler Marcel ist tot
Manuel Scholze
27. November 2023

Marcel bei einer Arbeit 2017 am Portrait zum verstorbenen Altkanzler Helmut Schmidt. Foto: Theresa Müller
Er kniet auf der Straße, die Kunstkreide fährt über den Asphalt. Rot, blau, weiß, die Farben treffen und überlagern sich, orchestriert von einem Hirn, das unter einer ledernen Barett-Mütze mit zotteligen langen Haaren arbeitet. Es ist Marcel – oder seit vorletztem Sonntag – es war Marcel. Würzburgs bekanntester Straßenkünstler ist gestorben.
Tausende Bilder, von Weihnachtsmännern, von Politikern, Kopien von bekannten Gemälden vieler Epochen und manchmal auch von sich selbst, entstanden meist vor der Galeria Kaufhof oder dem Bekleidungsgeschäft von s.Oliver. Sie waren Momentaufnahmen des Künstlers, gemacht für den Regen, der die lebendigen Fotos wegwusch. „Wir haben Marilyn Monroe gemalt. Dann kam eine einzige Wolke am sonst blauen Himmel, dann war Marilyn weg. Es gab an dem Tag keine andere Wolke, das war einfach krass. Seitdem verstehe ich, was Wolkenschieber sind“, sagt Marcels langjährige Lebensgefährtin Heike Brückmann. Die Vergänglichkeit der Kunst auf der Straße, „das wollte er so.“ Den Kunstmarkt, mit all seinen Wertsteigerungen, besonders nach dem Tod der jeweiligen Künstler, es „ekelte ihn an“. Das war Marcel.
Portrait über Marcel: Geh weg, bleib da! – Kunst mit Bodenhaftung
Dietmar alias Marcel, Würzburgs bekanntester Straßenmaler
Seinen Namen wählte er selbst, von „Mar“. Mar endet auf viele Namen und bedeutet „berühmt“, so auch auf seinen bürgerlichen Namen: Dietmar Herbert Artur Heinzelmann. Dietmar, das ist der „im Volk berühmte“, so die Bedeutung des Namens. Auch wenn Dietmar alias Marcel nie berühmt sein wollte. Friedlich sei er gewesen, ein Mensch, der keine Gier und keinen Neid kannte. „Er fand Geiz nie geil“, sagt seine Lebensgefährtin, mit der er bis zuletzt in einer Wohngemeinschaft lebte. Auch das war Marcel.

Marcel malt Marcel. Foto: Heike Brückmann
Auf der Durchreise nach Italien in Würzburg gelandet
2001 kam Marcel auf der Durchreise nach Italien nach Würzburg. In Italien, da erreichte der in Nordrhein-Westfalen geborene Maler, die höchste Klassifizierung eines Künstlers: den Titel des Maestros. Ein richtiger „Freigeist“ sei er gewesen, sagt seine Heike. Jemand, der auch mal von der „Hand in den Mund“ lebte und es tat, um Menschen Freude zu bereiten. Auch wenn das manchmal beschissen gewesen sei. „So im stillen Kämmerlein konnte er es nicht leiden zu malen. Das mochte er nicht. Er brauchte die Menschen“ sagt die Lebensgefährtin, die Marcel 2001 im Café Kult kennenlernte. Drei Monate lang habe er um sie gekämpft, in der Zeit auch angefangen, eigenes zu erschaffen. Vom Kopisten zum eigenständigen Künstler. Er malte zwei Einhörner, ein männliches und ein weibliches, mit einem Mond im Hintergrund, da war es um Heike geschehen. „Ich wollte von ihm erst gar nichts und ich habe ihm mal gesagt, dass das, was er mache, doch jeder kann.“ Er belehrte sie eines Besseren. Das war Marcel.
In Würzburg blieben beide, obwohl er nach Italien und sie nach Köln wollte. Sie malte mit ihm, gab ihm „Stabilität“ im Leben. Ihm, der im Gegenzug für sie einstand. Sie selbst wollte Straßenmalerei betreiben, er sagte „das ist hart und gefährlich“. An einem Tag habe sie gemalt, versunken in ein Bild. Er habe sich für kurze Zeit entfernt, als Heike merkte, dass sich drei „Punks“ ihr näherten. Sie feixten, wollten sie fertigmachen. Marcel sei aufgetaucht und habe gefragt, ob es ein Problem gebe. Die drei hätten dann sogar Geld in den Becher geworfen. Das war Marcel.

Heike und Marcel, ein Selbstportrait. Foto: Heike Brückmann
Corona besiegelte das Ende seiner Straßenkunst
Gemalt hatte er zuletzt nicht mehr viel. Corona vertrieb ihn, den Straßenmaler, von seiner geliebten Straße. „Ich will nicht an Corona verrecken“, soll er immer wieder gesagt haben und deshalb mehr und mehr die Öffentlichkeit gemieden haben. Jetzt ist er gestorben, zu Hause in seiner Wohnung, an Altersschwäche nach einem Leben im Freien, wie Heike sagt. „Sogar im Tod war er noch ein Schelm, Dietmar, der ‚dem Volk berühmte‘, starb genau am Volkstrauertag.“ Marcel wurde 69 Jahre alt.
Wer sich vom aus Würzburg bekannten Straßenmaler verabschieden möchte, soll bei der Trauerfeier – die am 07.12. um 14:30 Uhr in der St. Johanniskirche stattfindet – in bunter Kleidung erscheinen. Denn genau das, das war auch er: Marcel.