Was ist typisch Würzburg? – Interview mit dem Nachtwächter
Philipp Heilgenthal
4. März 2025

Nachtwächter Michael Schurr wird dieses Jahr anlässlich des Jubiläums "500 Jahre Bauernkrieg" erneut in die Rolle von Tilman Riemenschneider schlüpfen. Foto: Patty Varasano
Was ist typisch Würzburg? Was macht die Stadt und seine Bewohnerinnen und Bewohner so besonders? Und wie hat sich das Stadtbild und das Lebensgefühl in den letzten Jahren verändert? Das wollten wir im Interview von einer Person erfahren, die die Besonderheiten der Mainfrankenmetropole kennt wie kaum ein anderer: Einer der Würzburger Nachtwächter. Er stellt Klischees auf den Prüfstand, verrät, wo er sich am liebsten aufhält und bricht eine Lanze für das Mainviertel.
Würzburg erleben: Stell dich doch erst mal kurz vor, wer du bist und wie du Nachtwächter geworden bist:
Ich bin Michael Schurr, Würzburger Nachtwächter und Geschäftsführer der Nachtwächter Touren. Vor etwa 15 Jahren habe ich mich den Nachtwächtern angeschlossen, als Wolfgang Mainka die Touren ausweitete. Ich war aber schon vorher als Gästeführer in Würzburg unterwegs. Übrigens feiern die Nachtwächter dieses Jahr bereits das 30-jährige Jubiläum. Ursprünglich komme ich aus Baden und bin zum Studium nach Würzburg gezogen.
WE: Oha, ein klassischer Neigschmeckter kann also auch Würzburger Nachtwächter werden?!
Ja, das ist für viele schon erstaunlich. Es hat aber auch entscheidende Vorteile, als nicht-gebürtiger Würzburger die Stadt vorzustellen. Von außen kommend hat man eben noch einmal einen ganz anderen Blick auf Stadt und Leute. Schließlich war es für mich eine Herzensentscheidung, in Würzburg zu bleiben. Von daher kann ich denke ich eher das positive Gefühl umso besser glaubwürdig vermitteln.
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WE: Das spricht ja schon für die Toleranz und Weltoffenheit der Stadt, oder?
Am Anfang hatte ich schon einen etwas schweren Stand. Da gab es immer mal wieder Einheimische, die gefragt haben „Was willst du denn hier? Du bist von auswärts und willst uns was über unsere Stadt und unseren Dialekt erzählen?!“ In den letzten Jahren erlebe ich das aber kaum noch. Aber ja, das kann man schon als sinnbildlich sehen. Würzburg ist inzwischen tatsächlich eine weltoffene, bunte und tolerante Stadt geworden.
WE: Das war ja nicht gerade schon immer so. Wie hat sich Würzburg im Vergleich zu früher verändert?
Würzburg ist natürlich traditionell sehr katholisch geprägt. Seit ab dem 12. Jahrhundert hier die Fürstbischöfe regierten, spielte die Institution der katholischen Kirche eine sehr bedeutende Rolle. Zudem ist Würzburg und Mainfranken mit St. Kilian viel früher christlich geworden als andere deutsche Regionen. Die 56 Kirchen in der Stadt sprechen ja für sich. Vor 20-30 Jahren hat man die Präsenz der katholischen Kirche und die Frömmigkeit noch viel mehr gespürt als heute. Das machte Würzburg auch bis dato sehr konservativ und eigenbrötlerisch. Zum Glück hat sich das geändert! Maßgeblich verantwortlich dafür waren und sind die vielen Studenten, die immer wieder frischen Wind in die Stadt bringen. Dadurch ist Würzburg schließlich erst so weltoffen und vielseitig geworden.
Ansonsten hat zum Beispiel die Außengastronomie das Stadtbild und das Lebensgefühl stark verändert. Das gab es vor einigen Jahrzehnten noch fast gar nicht. Vor allem dank des Brückenschoppens ist auf der Alten Mainbrücke richtig viel los – für meinen Geschmack schon zu viel.
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WE: Was macht dich besonders stolz, wenn du an Würzburg denkst?
Eben dieses einzigartige Lebensgefühl. Das setzt sich zum einen aus der Mischung aus Alttraditionellem mit der Geschichte als Bischofs- und Weinstadt zusammen und andererseits aus den sehr jungen, neuen Einflüssen durch die enorm hohe Zahl an Studentinnen und Studenten. Die schöne Mischung aus Kultur, Wein und schöner Natur bringt eine fast mediterrane Atmosphäre und eine sehr hohe Lebensqualität mit sich. Deshalb spricht man ja gerne auch von der „fränkischen Toskana“.

Nachtwächter Udo Siegler. Foto: Linda Amamra.
WE: Welche Fakten und Anekdoten über Würzburg überraschen Gäste am meisten?
Die starke alte katholische Prägung und die enorme Anzahl an Kirchen erstaunt schon immer wieder viele Gäste. Überraschend ist auch, dass wir mit Juliusspital, Bürgerspital und Staatlichem Hofkeller drei der fünf größten Weingüter Deutschlands direkt in der Altstadt haben. Franken ist nämlich schon eher eine kleine Weinregion, viele assoziieren Franken eher mit Bier und kennen gar nicht den Unterschied zwischen Weinfranken und Bierfranken.
Und dann gibt’s natürlich die Auswärtigen, die denken, sie wären hier in Bayern. Sie sind dann nicht nur überrascht, wie sehr sich Würzburg und Franken in Dialekt, Kultur und Lebensart von Altbayern unterscheiden, sondern auch, wie empfindlich und pampig die Einheimischen darauf reagieren, wenn sie mit Bayern in einen Topf geschmissen werden und als solche bezeichnet werden. Ein schöner, überraschender Funfact ist auch die Blaue Grotte als älteste Pizzeria Deutschlands und dass dort der Pizzakarton erfunden worden ist.
WE: Welche Gegenstände stehen sinnbildlich für Würzburg? Der Bocksbeutel?
Für mich ist es vor allem der Bischofsstab, der im Stadtbild sehr präsent ist. Früher war es die Verbindung von Bischofsstab und Schwert als Symbol für die weltliche und geistliche Macht der Fürstbischöfe. Doch heute wäre finde ich ein Bischof oder St. Kilian mit dem Bischofsstab in der einen und dem Bocksbeutel in der anderen Hand das perfekte Symbolbild für Würzburg. Das wäre auch eine starke Symbolik dafür, wie friedlich Würzburg im Vergleich zur alten Stadtgeschichte geworden ist.
WE: Stichwort Veränderung: Gibt es überhaupt noch Würzburger Originale wie früher die Marktbärbel und der Schorsch, in deren Rollen ihr in euren Spezialführungen schlüpft?
Ich würde Wolfgang Mainka, unseren Erfinder der heutigen Nachtwächter, durchaus als Würzburger Original bezeichnen, der in der Stadt sehr präsent ist und mit seiner Art bei vielen bekannt ist. Adi Bauer als unserer Festlesbürgermeister ist schon auch eine feste Institution der Stadt. Klar hat die Zahl der typischen Würzburger durch die vielen Zugezogenen etwas abgenommen, viele sind leider bereits von uns gegangen. Aber ich finde schon, dass man in den wenigen verbliebenen klassischen Weinstuben noch echte Würzburger findet, meistens eben die älteren Leute am Stammtisch. Aber was ist schon ein Würzburger Original? Welche Kriterien muss man dafür erfüllen? Das ist schon eine sehr subjektive Definition.
WE: Was sind für dich persönlich die schönsten Ecken in Würzburg?
Puh, da gibt es viele! Für mich ist der Mainkai zwischen Alter Mainbrücke und Altem Kranen der schönste Platz in ganz Würzburg. Von da hat man einen herrlichen Blick auf Käppele, Festung und Alter Mainbrücke und dort im Sonnenschein zu sitzen ist einfach wunderbar. Im Lusamgärtchen bin ich auch sehr gerne, vor allem aber eher, um mal zur Ruhe zu kommen.
Und da wären noch einige Kneipen zu nennen: Der Maulaffenbäck ist noch ein echter klassischer Bäck und für uns Nachtwächter wie eine zweite Heimat. Deshalb beziehen wir ihn ja deshalb immer in unsere Führungen mit ein. Leider hat er aktuell geschlossen. Außerdem bin ich sehr gerne im Bürgerspital Weinhaus, dem Hockerle. Das ist ein richtig uriges, wunderschönes Plätzchen zum Schöppeln mit einem ganz eigenen Charme. Mir gefällt dort das Lockere und Ungezwungene. Das Hockerle (nach den Holzbänken direkt an der Wand benannt) ist neben dem Maulaffenbäck ein solcher typischer Treff für Würzburger Originale, wo man alles Relevante über die Stadt aufschnappen kann. Ansonsten bin ich gerne im Sternbäck und natürlich in unserem Nachtwächter-Stüble, das jetzt Anfang März in unserer neuen Adresse wiederöffnet hat.

Das alte Nachtwächter-Stüble. Das Stüble am neuen Ort in der Reubeltgasse sieht ganz ähnlich aus. Foto: Linda Amamra.
WE: Was sind typische Klischees über den Würzburger beziehungsweise mainfränkischen Menschenschlag?
Würzburger gelten wie fast alle Franken als knorrig, unfreundlich und zurückhaltend, aber auch geizig. Ich sage bei den Touren immer, wir Franken sind sehr humorvolle Menschen; wir zeigen es nur nicht nach außen. Diese Klischees sind im Kern wahr, aber natürlich übertrieben. Früher waren sie noch deutlich ausgeprägter.
Würzburger und Mainfranken brauchen eben ein bisschen – also ein paar Schoppen –, um (mit Fremden) erst richtig warmzuwerden. Ab einem gewissen Punkt lösen sich jedoch diese Klischees wie in Luft auf.
WE: Welche Sehenswürdigkeiten und Orte in Würzburg finden deiner Meinung nach (bisher) zu wenig Beachtung?
Zum einen natürlich unser Nachtwächter-Stüble! [Überlegt sehr lange] Ich würde eine Lanze für das Mainviertel brechen. Das hat wunderschöne Ecken und ist mit seinen Gassenstrukturen noch sehr urig-historisch. In dem kleinen Viertel gibt es viel zu entdecken, wie etwa das Denkmal für den Pfeifer von Niklashausen.
Und direkt am Fuße des Mainviertels ist die ehemalige Landesgartenschau: Ein wunderschöner Park zum Spazierengehen mit den Gartenanlagen der Partnerstädte! Aber das steht eben einerseits sprichwörtlich im Schatten der Festung. Andererseits spielt sich alles vermeintlich Wichtige auf der anderen Mainseite ab, weshalb das Mainviertel zu Unrecht vernachlässigt wird.
WE: Was sollte man in Würzburg unbedingt einmal gemacht haben (außer eine Nachtwächtertour)?
Im Sommer sollte man auf jeden Fall in irgendeiner Form mal etwas in Verbindung mit Wein und Main gemacht haben. Das muss ja nicht gleich der Brückenschoppen sein. Ich bin persönlich kein großer Fan von der Alten Mainbrücke, einfach, weil sie viel zu überlaufen ist.
Im Winter bietet sich natürlich der Weihnachtsmarkt an oder man besichtigt den Innenhof im Stachel – der ist schon einzigartig. Auch der Innenhof im Bürgerspital ist schön. Eine Hofkellerführung ist auch ein besonderes Erlebnis. Und dann ist da noch das Käppele – allein schon der Weg dort hinauf ist wunderbar. Dann kann man oben sowohl die Architektur als auch die Aussicht genießen und danach zum Schützenhof rüber laufen und es sich gutgehen lassen. Von Hochzeit bis Scheidung findet man alle möglichen Anlässe, um hoch zum Käppele zu kommen [lacht].
Je nach Situation empfiehlt sich auch das Lusamgärtchen. Wer Liebeskummer hat, kann ein Blümchen auf das Grab von Walter von der Vogelweide legen und auf Linderung hoffen. Außerdem ist es im Sommer ein angenehm schattiges Plätzchen, wenn es heiß ist.
Hintergrund: Touren mit dem Würzburger Nachtwächter
1995 erschuf Wolfgang Mainka mit dem Würzburger Nachtwächter eine Figur, „die kunsthistorisches Wissen mit fränkischer Originalität und fränkischer Mundart vereint“, heißt es auf der Webseite der Nachtwächter. Seit nun 30 Jahren dreht der Nachtwächter am Abend als Gästeführer seine Runde durch die Altstadt – so wie es die ursprünglichen Nachtwächter jahrhundertelang in Würzburg taten. Zu ihm gesellte sich später noch mit dem „Schorsch“ und seiner Frau Barbette aus dem „Meeviertel“ sowie dem Häcker Karl und der Marktbärbel weitere Würzburger Originale dazu. Sie präsentieren in Spezialführungen ihre Stadt mit „pforztrockenem“ fränkischem Humor. Daneben bieten sie auch verschiedene humorvolle Weinproben und kulinarische Touren an, zum Teil in ihrer eigenen historisch-detailgetreuen Weinstube, dem Nachtwächterstüble. In diesem Jahr feiern die Würzburger Nachtwächter ihr 30-jähriges Jubiläum. Als Besonderheit wird es unter anderem anlässlich des Jubiläums 500 Jahre Bauernkrieg ab April einmal im Monat eine Führung mit Tilman Riemenschneider geben – kostenlos!